Mittwoch, 30. Januar 2008

Kitsch

Wann ist es Kitsch und warum?

Über Geschichte und Aussagekraft eines zwiespältigen Phänomens, am Beispiel der Kunstmusik

„Über Geschmack lässt sich nicht streiten“ – keine andere Binsenweisheit besitzt mehr Relevanz für das Bewertungschaos von Kunst in unserer Gegenwart.

Dieses Chaos wird weder durch die unglaubliche Vielfalt des Angebotes an Kunst- über Volks- Unterhaltungsmusik bis hin zum crossover verursacht noch durch den Niedergang der Kultur, wie ihn Cassandrarufe seit der bürgerlichen Gesellschaft in Permanenz prognostizieren. Die eigentliche Ursache liegt in der Totalität des Subjektiven, die allüberall waltet. Dies wiederum ist das Resultat der spezifisch europäischen Kulturdynamik mit ihren Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Entwicklungen.

In der Totalität des Subjektiven wird Wahrnehmung nicht mehr als Reaktion auf Wirklichkeit gesehen, vielmehr erscheinen Wirklichkeit und Wahrnehmung identisch und werden nicht mehr differenziert. „So wie es mir gefällt, so ist es auch“. Persönliche Empfindung ist zugleich Bewertungskriterium.

Medien und Marktstrategen nutzen die mangelnde Fähigkeit zur Differenzierung aus, um Kunstprodukte im Sinne des Profites effektiv lancieren zu können. Sie suggerieren den Konsumenten geschickt die dazu nötige subjektive Wahrnehmung. Glauben wir Rundfunkmoderatoren oder Medien, so befinden wir uns in einer Kulturlandschaft der ausschließlichen Superlative. Bei der Kunstmusik beispielsweise beherrschen nur noch Stardirigenten oder Shootingstars die Opern- und Konzertbühnen. Nicht die Werke selbst sondern fast nur noch die Personen, welche sie ausführen, werden verehrt, an die Stelle des konzentrierten Zuhörens, um in Werk e einzudringen, tritt Massenhysterie in Gestalt des euphorisierenden Klassikevents.

Wir finden Vergleichbares in sämtlichen Schönen Künsten, jedoch stellt sich die Symptomatik bei Musik am auffälligsten und gravierendsten dar, weil Musik auf Seiten der Rezepienten unmittelbar und überwiegend den empfindenden, emotionalen Persönlichkeitsteil anspricht. Objektive bzw. rationale Aspekte wie etwa Formhandhabung, Satztechniken, Verarbeitungsprinzipien, spielen primär auf Seiten der Produzierenden oder Reproduzierenden eine Rolle. Anders bei Literatur zum Beispiel: Grammatik und Wortschatz sind den meisten Menschen ja bis zu einem gewissen Grad durch den alltäglichen Gebrauch der Sprache vertraut. Dies gewährt ihnen eher auch rationale Anteilnahme an Literatur.

Trotz und sogar gerade wegen der Totalität des Subjektiven und des Bewertungschaos ist es von Bedeutung, über Kitsch zu sprechen. Er ist ein signifikantes Phänomen europäischer Kultur, durchaus ambivalent, es stößt Viele ab und fasziniert sie zugleich. Die Geschichte des Kitsches ist höchst aufschlussreich und sogar aussagekräftiger als der Begriff, wenn er Werturteil sein soll. Bedenkt man, wie lange die Künste existieren, so erstaunt doch, dass „Kitsch“ erst am Ende des 19.Jahrhunderts auftaucht. Phänomene der Kunst spiegeln immer kulturelle und gesellschaftliche Stadien wieder. Was also hat sich ereignet, dass es zum Kitsch kam?.

Zunächst wurde das Wort im Bereich der Bildenden Kunst gebraucht. Bald schon fand es auch in den anderen Schönen Künsten Verwendung. Etymologisch ist die Herkunft des Wortes nicht eindeutig zu klären. Es gibt drei mögliche Quellen:

1) Um 1880 wurde der Begriff in einem bösartigen Epigramm von Max Bernstein zu dem Gemälde „Bosnische berittene Insurgenten“ von Franz Adam erwähnt.

2) Das englische Wort „sketch“ = Entwurf, Skizze, Ende des 19.Jahrhunderts im Zusammenhang mit dilettantischen Landschaftszeichnungen englischer und amerikanischer Deutschland- Touristen gebraucht.

3) Das jiddische Verb: „verkitschen“ = jemandem etwas minderwertiges andrehen.

Als lautmalerisches Dialektwort hatte kitschen = Schlamm zusammenkehren in manchen Regionen Deutschlands existiert.

In zahlreichen Kunstkritiken am Ende des 19.Jahrhunderts wurden solche Bilder als Kitsch bezeichnet, die zwar handgemalt waren, aber, klischeehaft, wenig originell und sorgfältig, wie fabrikgefertigt wirkten. Aber auch umgekehrt, wenn fabrikhergestellte Bilder den Eindruck von Handgemalten erwecken sollten. Kitsch täuscht demnach nur vor, was er nicht ist: nämlich Kunst.

Diese Erklärungen geben jedoch keinen befriedigenden Aufschluss über Ursache und Wesen von Kitsch. Ebenso wenig vermögen dies jene Attribute, die ihm in Lexika zugeordnet werden. Sentimental, banal, trivial oder konfliktvermeidend lässt sich nämlich auch auf viele Werke früherer Epochen anwenden.

Der Blick in die Musikgeschichte bringt uns weiter.

Als Gustav Mahlers 5.Symphonie im Jahre 1905 uraufgeführt wurde, erhielt das Adagietto (4.Satz) vom Publikum unumwundene Zustimmung und großen Beifall. Das Adagietto wurde 1971 von Lucino Visconti in seinem Film “Tod in Venedig” als Titelmusik verwendet, es wurde daraufhin quasi zum Schlager und trug nicht unwesentlich zur Mahler-Renaissance bei.

Mahler selbst hatte sich verzweifelt darüber beklagt, dass die Menschen seine Symphonie nicht verstanden. In der Tat forderten die 4 anderen Sätze der V. die Hörer damals über die Maßen. Nach der Uraufführung des Werkes schrieb Richard Strauss in einem Brief an Mahler, er sei am Erfolg des Adagietto selber schuld. Eine interessante Bemerkung, weil sie die Manifestation des Grundproblems bürgerlicher Kultur belegt. Sein unmittelbarer Erfolg rückte den 4.Satz in den Augen von Mahlers Kollegen ins Zwielicht. Solch argwöhnische Tendenz wurde mit der bürgerlichen Gesellschaft geboren. Die Künste waren zum ersten Mal in der Kulturgeschichte selbstständige Valeurs geworden. Jedes Kunstwerk erhob Anspruch auf Höchstqualität, Einzigartigkeit, Erhabenheit und tiefsten Ernst. Wir sehen die Auswirkungen bereits bei Robert Schumann in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Er war geradezu fassungslos, dass es einem Genie wie Mozart passieren konnte, den dramatischen, wilden Finalsatz des Klavierkonzertes KV466 in d-Moll in eben jener Tonart beginnen zu lassen, um ihn dann in D-Dur mit Überschwang und Heiterkeit zu beenden. Heitere Empfindungen, in Beethovens 6.Symphonie „Pastorale“ noch bei der Ankunft auf dem Lande „salonfähig“, waren Schumann suspekt. Melancholie, Trauer bis hin zu Pessimismus und Depressivität erschienen ihm ernst, das Unbeschwerte, Schlichte stand bereits im Geruch künstlerisch minderwertig zu sein. Schumann konnte in Ermangelung musikgeschichtlicher Kenntnisse noch nicht verstehen, dass Kunstmusik in der Alten Gesellschaft des vorangegangenen Jahrhunderts eine ganz andere Funktion erfüllt hatte. Sie musste, mit Ausnahme der geistlichen Musik, unterhaltsam und kunstvoll zugleich sein. Dies lag schon darin begründet, dass Künste generell immer nur ein Teil gesellschaftlicher Prozesse waren. Schumann nannte die damalige Musik abwertend Gebrauchsmusik, nicht ahnend wie schwer es tatsächlich war, unterhaltsam und qualitätsvoll zugleich zu komponieren. Ausgerechnet Mozart und der von Schumann so verkannte Haydn, die erste Generation der Wiener Klassik also, hatten mit ihrem Spätwerk die Kunstmusik zu dem gemacht und erhoben, was das 19.Jahrhundert darunter verstand. Der Unterschied zur Romantik bestand indessen darin, dass die Wiener Klassiker beider Generationen darum bemüht waren, die objektiven/rationalen und die subjektiven/empfindsamen Elemente in Balance zu halten. Genau das machte sie zur Klassik. In Jean Jacques Rousseaus Soziologie und seinem philosophischen Ansatz spiegelt sich die kulturelle Emanzipation des Subjektiven und Empfindsamen wieder. Diese Emanzipation führte in der Romantik zur Dominanz des subjektiven mit sich stetig verstärkender Tendenz. Die Künstler konzentrierten sich nun immer mehr auf subjektive Reflektionen individueller tragischer und schicksalhafter Aspekte der Wirklichkeit. Nur „ernst“ wurde noch als ernsthaft akzeptiert. In Verbindung mit der hohen künstlerischen Qualität blieben jedoch die wenig Gebildeten außen vor. Kunst wurde von Elite für Elite gemacht. Aber schon entstand den Gesetzen der Dialektik folgend sogleich der Gegenentwurf. Volkslied, Volkstanz, Gesellschaftstanz und Gassenhauer fusionierten zu Unterhaltungsmusik. Damit war aber kein Problem gelöst sondern ein neues geschaffen.

Auf der einen Seite haben wir von nun an immer individueller und komplexer werdende Kunst, auf der anderen Seite Produkte minderer, schwindender Qualität, um möglichst breiten Absatz garantieren zu können. Die Unterhaltungsmusik war nämlich alsbald in den Strudel industrieller Produktion gezogen worden und wurde zum Massenprodukt. Doch das Phänomen Unterhaltungsmusik ist nicht gleich Kitsch, man denke an Jazz oder Hardrock.

Die schere zwischen hoher Kunst und den Massenprodukten der Unterhaltungsindustrie öffnete sich immer weiter. Aber auch zwischen den Kennern von Kunstmusik und immer schwerer zu verstehenden neuen Werken entstand eine größer werdende Kluft. Diese beiden soeben beschriebenen Vorgänge sind das kulturelle Pendant zur Entfremdung, die ein Hauptmerkmal der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist. In der Kluft der kulturellen Entfremdung entstanden Produkte, die weder der jeweils aktuellen Kunstmusik noch der Unterhaltungsindustrie zuzuordnen sind. Für Kunst besitzen sie ein zu labiles Schaffensethos und reflektieren nicht wahrhaftig die Wirklichkeit. Für die Unterhaltungsindustrie hingegen sind sie wiederum zu gekonnt. Von der Kunstmusik übernehmen sie beispielsweise symphonischen oder Opernhaften Gestus, Instrumentationstechniken, Virtuosität. Mit der Unterhaltungsmusik verbindet sie das Werbende, Anbiedernde, Wirklichkeitsfremde und Unkritische. An der Operette kann man dies gut studieren, auch am Musical und sehr häufig an Filmmusik.

Theodor W Adorno sah in der Blumenmädchen-Szene des 2.Aufzugs von Wagners Parsifal den Beginn von Kitsch und Kaufhausmusik. Die Blumenmädchen umwerben darin mit süßlichem, schwülem Gesang Parsifal, um ihn zu verführen. Auch Adorno darf sich irren, wie konnte Verführung um 1882 denn treffender vertont werden als in besagter Szene? Einen ähnlichen Fall finden wir in der Elektra von Richard Strauss. Aggressionen, Hass und Racheabsichten beherrschen das ganze Werk. Für Strauss bot die Handlung Gelegenheit, sich in Atonalität und neuem Klangmaterial zu versuchen. Nur an der Stelle, da Elektra ihren Bruder Orest erkennt, ändert sich die Gefühlslage für einen Augenblick. Die geschwisterliche Liebe bemächtigt sich Elektras und die Musik wird harmonisch und wendet sich dem konventionellen Tonmaterial zu. Dies kann man nicht einfach als Kitsch deklarieren, denn wie hätte ein Komponist den Kontrast der Empfindungen von Liebe sonst darstellen können? Diese Stelle in der Elektra beabsichtigt dem Inhalt entsprechend überhaupt kein Buhlen oder keine Täuschung, wie es die Blumenmädchen des Parsifal tun.

Am Werbenden, Manipulierenden, Eingängigen oder Einschmeichelnden kann man das Wesen von Kitsch nicht festmachen. Kitsch ist kein anrüchiges, umstrittenes oder zu verachtendes Genre, Kitsch ist überhaupt kein Genre, er ist vielmehr soziales und kulturelles Symptom, ein Resultat von Entfremdung. Kitsch ist ein schillerndes, zwischen den Welten schwankendes Phänomen. Genau daher lässt er sich nicht eindeutig technisch oder stilistisch definieren. Andrew Loyd Webbers Requiem ist ein Beispiel dafür. Im Kyrie und Dies irae gebärdet es sich auf den ersten Blick wie Benjamin Britten oder Carl Orff. Je mehr sich das Werk seinem Ende nähert, um so zugkräftiger werden die Nummern, bis im Agnus dei veritabler Filmmusik-Sound bewusst eingesetzt wird – um die Zuhörer zum finalen Applaus anzustacheln. Diesen Beifallssturm war eines der kompositorischen Ziele des Komponisten und genau dies entlarvt sein Werk als nicht künstlerisch. Hier demaskiert sich ein niedriges Schaffensethos, auch wenn die ersten Sätze der Totenmesse nicht in Klischeevorstellungen von Kitsch passen.

Fragt man Kunstkonsumenten oder Fachleute, was Kitsch sei, so entspricht die Anzahl der divergierenden Antworten jener der Befragten. Wenn ein Objekt sentimental empfunden wird, warum nennt man es dann nicht einfach sentimental sondern kitschig? Wenn es Schund ist, warum nennt man es dann nicht Schund? Das wären eindeutige Stellungnahmen. Ich glaube, wenn Kitsch als Bewertungskriterium verwendet wird, kommt eine Ambivalenz zum Ausdruck, im Sinne von „zu schön, um wahr zu sein“. Niemand hat etwas gegen das „Schöne“, solange es nicht benützt wird, um Realität positiv einzufärben.

Ich würde davon abraten, Kitsch als Bewertungskriterium bei Kunst oder Produkten der Unterhaltungsindustrie anzuführen. Im Gebrauch des Wortes wird, freilich unbeabsichtigt bzw. unbewusst, versucht, subjektive ambivalente Empfindung als objektive, rationale Kritik anzubringen. Und damit sind wir wieder beim Anfang dieses Vortrags: im gesamten Lebensbereich ist es notwendige Übung, zwischen Wirklichkeit und subjektiver Wahrnehmung zu differenzieren. Nicht „so, wie es mir gefällt, ist es auch“ sondern „mir gefällt es oder nicht“ – das genügt bereits. Ich mache bekanntlich nie einen Hehl aus meinen gefühlsmäßigen Schwierigkeiten mit Zwölftonkompositionen oder Werken der Avantgarde. Ich käme jedoch nie auf die Idee, den entsprechenden Komponisten ihre hervorragenden Fähigkeiten oder ihre künstlerische Verantwortung abzusprechen. Genau so wenig fiele es mir ein, bestimmte Songs von ABBA, die ich mit angenehmen Momenten meines Lebens assoziiere, daher mag, musiktheoretisch aufzuwerten und Schubert Liedern als ebenbürtig zu erklären.

Kunst ist ein Weg. Seinem Ziel, die höchste Vollkommenheit und absolute Wahrhaftigkeit, kann man durch unermüdliches Streben nur näher kommen, erreichen wird man es nie. Ein Künstler mit akzeptablem Schaffensethos wird darum bemüht sein, verstanden zu werden, er wird dabei aber nie versuchen, zu werben, schmeicheln, manipulieren oder verführen. Kunst lässt immer Spielraum für Interpretation auf Seiten der Rezepienten. Kunst ist in erster Linie die Freiheit des Publikums und dann erst die des Künstlers. Der Rezepient soll sich aus eigener Entscheidung heraus einem Kunstwerk zuwenden, nie als Folge fortgesetzter Werbung, Beeinflussung oder geschickt geschürter Massenhysterie.

Wer versucht, Kunst in ein Massenprodukt zu verwandeln, der erreicht nur ihre Zerstörung, man denke an Mozarts „Kleine Nachtmusik“, Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, Beethovens „Albumblatt für Elise“. Popversionen, der Aufschwemmungssound bei André Rieu, Verjazzung oder Spieluhrengeklingel lässt sie unverschuldet zu Kitsch als Symptom von Entfremdung werden.


Dienstag, 29. Januar 2008

Die Fuge - das musikalische Pendant zu Descartes Philosophie

Die Fuge – das musikalische Pendant zu Descartes Philosophie

Bevor es Absolute Musik gab, besaß Musik Objektivität in der Funktion, welche sie jeweils zu erfüllen hatte. Zum Beispiel in einem Text, den sie ausdrückte oder im Charakter eines Tanzes und Rituals, das sie untermalte. Ihre Funktion machte Musik zwar nicht greifbar, jedoch begreifbar. Objektivität wie Bindung an außermusikalische Funktionen fielen in der Absoluten Musik weg. Aus der Notwendigkeit ihrer Entstehung heraus entwickelte sich eine neue Objektivität. Somit war Absolute Musik Stimme des Individuums und zugleich begreifbar. Das bedeutendste Anschauungsobjekt dafür finden wir in der Fuge. Sie spiegelt auf musikalischer Ebene den Stand der Subjektivität im 17.Jahrhundert genauso wieder, wie ihr philosophisches Äquivalent, die Lehren Descartes.

Der Philosoph Descartes bezieht zum ersten Mal die Subjektivität relevant in philosophische Betrachtungen ein. Er entwickelte eine Erkenntnistheorie, die nur das als richtig akzeptierte, was durch die eigene Analyse und logische Reflexion plausibel nachweisbar war.

Der Fugenkomponist übernahm keine bereits vorhandene geistliche oder weltliche Melodie, wie in der nicht absoluten Instrumentalmusik. Er erfand sein eigenes musikalisches Gebilde, das bis zum Ende des Barock (Mitte des 18.Jahrhunderts) Subjekt genannt wurde. Aus diesem alleine setzte er ohne Variierungen der erfundenen Substanz sein Werk zusammen.

Nach Descartes Ethikvorstellung hatte sich das Individuum im Sinne bewährter gesellschaftlicher Konventionen pflichtbewusst und moralisch einwandfrei zu verhalten.

In Werken absoluter Musik, also auch in der Fuge, waren verbindliche, erkennbare Kompositionsprinzipien vorgegeben. Ein Beispiel hierfür ist die Imitation. Alle beteiligten Stimmen setzen wie beim Kanon nacheinander mit dem Subjekt ein. Nachdem alle Stimmen eingesetzt haben, wird das Subjekt in einer von ihnen immer wieder zitiert. Das Subjekt darf nicht verändert werden, es sei denn, dass es in seiner veränderten Form dann verbindlich so weitergeführt wird.

Gefühlsregungen wie Liebe oder Hass etc. sieht Descartes als natürliche mentale Ausflüsse der Körperlichkeit des Menschen als Kreatur. Er verpflichtete diesen aber zu ihrer Kontrolle durch den Willen und die Vernunft.

Länge, Dramatik, Gefühlsintensität und Charakter seiner Fuge ordnet der Komponist seinem Willens und seiner Vernunft unter.

In diesem Stadium europäischer Kultur erscheinen Gefühl und Vernunft bereits als abgegrenzte, selbstständige Sektoren. Der separierende kulturimmanente Faktor wird im Zusammenwirken mit dem konzentrierenden die Dialogfähigkeit beider Sektoren immer mehr erschweren.